Antisemitismus und Intervention

Rückblick: Gemeinsame Veranstaltung des Wissenschaftsforums-Ruhr mit dem Salomon Ludwig Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte, dem Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) und dem Fraunhofer UMSICHT

Man kann etwas tun!

In einer virtuell gut frequentierten Veranstaltung am 02.03.2022 zum Thema Antisemitismus stellten zwei Institute ihre Binnenprojekte im Rahmen der Förderrichtlinie des BMBF Aktuelle Dynamiken und Herausforderungen des Antisemitismus vor. Die Referenten zeigten, dass man sich der Thematik empirisch unter Zuhilfenahme digitaler Methoden und hermeneutisch nähern kann.

Dr. Cordula Lissner vom Salomon Ludwig Steinheim-Institut zeigte exemplarisch, dass sich antisemitische Ausfälle auch an Erinnerungsstätten der jüdischen Kultur in Deutschland manifestieren: den ca. 2.400 Friedhöfen. Die Angriffe gehen jährlich in die Dutzende und verursachen oft irreparable Schäden. Gegenstand des Projektes Net Olam ist die systematische Erhebung, Analyse und der Aufbau eines präventiven Netzwerks. Harald Lordick, ebenfalls vom Steinheim-Institut, erklärte die digitalen Instrumente: Um eine belastbare Basis für die Ursachen- und Präventionsforschung zu erhalten, werden Quellen aller Art systematisch erfasst und gesichtet, die gewonnenen Daten zur digitalen Auswertung verarbeitet, analysiert und visualisiert. Ziel sind vernetzte Datenbanken, die neben quantitativen Erkenntnissen auch qualitative Aussagen für die Präventionsforschung und Prävention selbst erlauben.

Die großen geisteswissenschaftlichen Linien erörterte Dr. Jobst Paul vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung. Der Duisburger Projektteil thematisiert Das Judentum in der Alltagspresse und in der didaktischen Praxis. Das Ziel ist die Ermittlung von Ursachen des fortwährenden ‚othering‘ und von stereotypen Wissensbeständen. Deutlich wurde, dass Wissensbestände im antisemitischen Kontext zwar häufig transformiert wurden, aber keine Widerstände wie andere Ausgrenzungskonstrukte hervorgerufen haben.

Jobst Paul zeigte, wie das aristotelisch-essentialistische Ausgrenzungskonstrukt gegen ‚Barbaren‘, ‚Sklaven‘, ‚Kinder‘, ‚Frauen‘ unter dem Gradmesser der zugemessenen Rationalität und Fähigkeit zu moralisch wertvollem Handeln im christlichen Kontext auf Christen und Juden angewandt wurde. Das geistig orientierte Wesen galt hinfort als christlich, das jüdische als körperorientiert und moralisch minderwertig. Im 19. Jahrhundert setzten sich dann Stereotype von christlicher Nächstenliebe bzw. jüdischem Egoismus durch.

Diese offen antisemitischen Positionen bleiben aber im aktuellen Mediendiskurs, dem Untersuchungsgegenstand, oftmals unter sogar philosemitischen oder vereinnahmenden, aber dennoch ausgrenzenden Argumentationsfiguren des Fremden (‚othering‘) residual erhalten. Die Folge ist eine kontaminierende Präfiguration des Denkens, gegen die in der anschließenden Diskussion, die von Prof. Dr.-Ing. Görge Deerberg moderiert wurde, eine Wachheit gegenüber der Sprache und ihren Stereotypen als unerlässlich angesehen wurde.

>> Vortragsfolien von Dr. Cordula Lissner (Steinheim-Institut) zum Download
>> Vortragsfolien von Harald Lordick (Steinheim-Institut) zum Download
>> Vortragsfolien von Dr. Jobst Paul (Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung) zum Download

>> Videomitschnitt der Veranstaltung