Nudging – Changing the World

Wissenschaftsforum-Ruhr-Veranstaltung am Mittwoch, 22.9.2021

Argumentieren und/oder Stupsen angesichts der Klimakatastrophe

Prof. Dr. Kathrin Loer von der Hochschule Osnabrück und Dr. Mark Andor vom RWI über Nudging und die Frage, wie Menschen ihren Entscheidungen treffen – in Anbetracht der Klimakatastrophe

Dass Menschen sich nicht durch das bessere Argument überzeugen lassen, sondern eher dem nicht streng diskursiven Überreden zugeneigt sind, ist ein alter Topos der abendländischen Philosophie. Die Erkenntnisse der modernen Psychologie und Verhaltensökonomik haben zudem die Wesensbestimmung des Menschen als vernunft-bezogenen Lebewesens aufgeweicht und gezeigt, dass ein nur bedingt rationaler Zugang oftmals vielversprechender ist, wenn es darum geht, Menschen zu einer Verhaltensänderung zu bewegen (Aristoteles wusste das allerdings auch schon). Dass dieser Ansatz, den die beiden amerikanischen Autoren Thaler und Sunstein 2008 mit dem Nudging-Begriff systematisiert haben, funktioniert, aber durchaus auch diskussionswürdig ist, wurde im Rahmen einer virtuellen Abendveranstaltung des Wissenschaftsforums Ruhr deutlich.

Die Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Kathrin Loer (Hochschule Osnabrück) führte in ihrem Referat in den Begriff ein und betonte die Bedeutung, die Thaler/Sunstein der Choice Architecture einräumen. Menschen treffen Entscheidungen in Kontexten und werden also durch sie beeinflusst. Ein libertärer Paternalismus solle nach Tha-ler/Sunstein den Rahmen adäquat justieren, damit Menschen zum Wohle aller optionieren. Dies setzt einerseits das Wissen einer Gruppe von Menschen voraus, was das Wohl aller ausmache, wie auch eine Vorhersagbarkeit des menschlichen Verhal-tens. Da Thaler/Sunstein (monetäre) Anreize und Verbote ablehnen, lässt sich das Nudging im Portfolio der Politik zu den relativ zwanglosen Informationsinstrumenten mit Subtext rechnen (Beispiel: abschreckende Bilder auf der Zigarettenpackung, Kennzeichnung des Zuckeranteils bei Energydrinks). In komplexeren Kontexten wie dem Problem des Klimawandels greifen aber derartige an den individuellen Verbrau-cher adressierte Stupser zu kurz. Eine umfassende Orchestrierung an Instrumenten sei notwendig, die sich an Unternehmen, Institutionen und Individuen richte. Zudem zeige der Einsatz von Nudging bisher gemischte Resultate.

Dr. Mark Andor (RWI) gab in seinem Beitrag anschließend unter der Fragestellung, wie prosoziales Verhalten gefördert werden könne, einen Literaturüberblick über ein-schlägige Studien und eigene Studien aus den Bereichen Energiesparen, Nahrungs- und Mobilitätswende. Beim Duschen gab es durch ein Echtzeitfeedback an der Duschapplikation Einsparungen von fast einem Drittel des vorherigen Wertes, im Rahmen eines sozialen Vergleichs von 11 % und bei einer Kombination beider Nudging-Techniken von 37 %. Framing-Techniken brachten gute Ergebnisse beim Ernährungsverhalten. Eine Änderung der Mittagskarte in einem Restaurant mit einer erhöhten Sichtbarkeit vegetarischer Alternativen zeitigte eine 25-prozentige Redukti-on des Fleischkonsums. Monitoring-Techniken unter der Zielsetzung eines geringe-ren Kraftstoffverbrauchs führten in einem Feldexperiment mit Flugkapitänen ebenfalls zu Erfolgen. Wohlfahrtseffekte durch Nudging sind in der Ökonomie eine der wichtigsten Forschungsfelder der Zukunft.

In der anschließenden Diskussion problematisierten die Moderatoren Prof. Dr. Thomas Bauer (RWI) und Prof. Dr. Görge Deerberg (UMSICHT, Wissenschaftsforum Ruhr) das Nudging vor dem Hintergrund einer nicht evidenten Grenzziehung zwischen transparenter und versteckter Manipulation. Zudem setze eine Einrichtung und Veränderung von Voreinstellungen (Defaults) und Auswahlarchitekturen (Choice Architectures), die sozialverträglich seien, im politischen Rahmen wohlmeinende Herrschaftsstrukturen voraus, was keine Selbstverständlichkeit sei. In demokratisch verfassten Gesellschaften, die politische Entscheidungen nicht zuletzt nach einer Diskussion treffen, die sich auf Expertise stützt, sei der offene Diskurs ein unverzichtbares Element, auch wenn er wie in der Klimadebatte oder in ökonomischen Zusammenhängen sehr voraussetzungsreich sei. Betont wurde von den Referenten der Unterschied zwischen Zielformulierung und Methode und dass eine transparente, aufgeklärte und demokratische Kontrolle der Ziele und Nudges gegeben sein müsse. In der Forschung sei laut Prof. Bauer noch zu zeigen, dass Regulierung und Nudging in einer Komplementärbeziehung stehen und sich nicht nur substituieren, zu zeigen wäre also, dass das eine kann, was das andere nicht kann.

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